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Fortbildung zur Brandursachenermittlung

Brandursachenermittlung

Brandursachenermittlung


Erkenntnisse aus der Fortbildung des KFV Ostholstein am 9. September 2025 mit Olaf Schäfer (Landespolizei SH)

Bei der Fortbildung des Kreisfeuerwehrverbands Ostholstein am 9. September 2025 stand ein Kerngedanke im Mittelpunkt: Unsere Wahrnehmungen in der Frühphase eines Einsatzes und eine saubere Dokumentation entscheiden oft darüber, ob die Brandursache später nachvollzogen werden kann. Referent Olaf Schäfer (43 Jahre im Polizeidienst und Leiter der KP in Neustadt in Holstein, war unter anderem auch im Bereich Brandursachenermittlung im Raum PD Lübeck tätig) machte klar, wie Feuerwehr und Polizei zusammenwirken – und was Einsatzkräfte konkret tun (und lassen) sollten, um Spuren zu sichern, ohne den Löscherfolg oder die Sicherheit zu gefährden.


1) Rollen & Zusammenarbeit: Gleiches Ziel, unterschiedliche Aufgaben

  • Primärauftrag der Feuerwehr: Menschenrettung, Brandbekämpfung, Schadensbegrenzung.
  • Auftrag der Polizei/Staatsanwaltschaft: Ermittlung der Ursache und ggf. strafrechtliche Bewertung (Brandstiftung, Fahrlässigkeit etc.).
  • Legalitätsprinzip: Verdachtsmomente sind neutral zu dokumentieren und weiterzugeben – ohne Wertung oder Spekulation.
  • Alarmkette: Häufig trifft zunächst die Schutzpolizei ein; Brandursachenermittler/Sachverständige werden je nach Lage nachalarmiert. Eine akribische Weitergabe der Feuerwehr-Dokumentation (Fotos, Zeiten, Veränderungen) ist dabei Gold wert.

Merke: Lebensrettung und Gefahrenabwehr gehen immer vor. Aber: Unnötige Veränderungen am Brandort lassen sich oft vermeiden – und genau das hilft den Ermittlern später.


2) Die Frühphase zählt: Beobachten, merken, notieren

Schäfer betonte wiederholt: Frühe, unverfälschte Wahrnehmungen sind die Basis jeder Ursachenermittlung. Wichtig ist, was die ersteintreffenden Kräfte sehen, riechen und hören – bevor viel bewegt oder belüftet wird.

Unmittelbar beim Eintreffen beachten und festhalten:

  • Zustand von Türen und Fenstern: Offen, geschlossen, verschlossen, beschlagen, geborsten? (Hinweise auf Zutritt, Hitzebelastung, Überdruck)
  • Flammen- und Rauchbild: Wo treten Flammen/Rauch zuerst aus? Farbe, Dichte, Richtung, Pulsieren.
  • Gerüche: Treibstoffe, Lösungsmittel, Kunststoff, Elektrik („verschmort“).
  • Beleuchtung/Elektro: Brennt Licht? Hört man surrende Lüfter, knisternde Sicherungen? Wurde die Stromversorgung bewusst abgeschaltet – wann und durch wen?
  • Personen & Fahrzeuge: Wer war vor Ort (Anwohner, Melder, Passanten)? Kennzeichen, Positionen, auffälliges Verhalten.
  • Witterung & Umgebung: Wind, Niederschlag, Blitzereignisse, Baustellen/Sanierungen.

Diese Erstwahrnehmungen sofort stichwortartig notieren (Zeit/Zeuge/Aussage) – notfalls auf dem Handschuh mit Edding und später sauber übertragen. Je früher, desto besser.


3) Beweissicherung im Einsatz: So wenig wie möglich verändern

Natürlich erfordern Brandbekämpfung und Menschenrettung vielfach massive Eingriffe. Trotzdem lassen sich viele unnötige Zerstörungen vermeiden:

  • Gezieltes Öffnen statt flächigem „Aufreißen“, wenn es die Taktik zulässt.
  • Möbel/Inventar nur bewegen, wenn nötig (Zugang, Brandnester). Jede Veränderung kurz dokumentieren: Wer hat was, wann, warum bewegt?
  • Fundstücke in Brandnähe nicht mischen: Mögliche Zündmittel (z. B. Kanister, Toasterteile, ölgetränkte Lappen) beiseite stellen/legen, markieren und liegen lassen – nicht in „Sammelhaufen“ kippen.
  • Keine „Aufräumaktionen“ in der heißen Phase (z. B. kompletter Ausräumtransport ins Freie), wenn es nicht aus einsatztaktischen Gründen nötig ist.
  • Absperren & sichern: Nachlöscharbeiten und Brandwache sollen Neugierige fernhalten; die Einsatzstelle bleibt bis zur Freigabe dokumentations- und spurensensibel.

Wichtig: Wenn Betreten aus statischen oder toxischen Gründen nicht möglich ist, von außen so viel wie möglich dokumentieren (siehe Fotokapitel). Sicherheit hat Vorrang; die Begründung für das Nichtbetreten gehört in den Einsatzbericht.


4) Fotografieren & dokumentieren: System statt Zufall

Fotos sind das Gedächtnis der Einsatzstelle – besonders, wenn sich später vieles verändert. Leitlinie: Von außen nach innen, von groß nach klein, von Überblick zu Detail.

Mindestsatz an Bildern (mit Uhrzeit):

  1. Übersicht: Gebäude/Objekt aus mehreren Seiten, Zugangswege, Fenster/Türen, Dach, sichtbare Schäden.
  2. Anfahrts- und Aufstellflächen: Fahrzeuge, Schläuche, Ventilationsöffnungen, Aufbruchstellen.
  3. Ersteindruck im Inneren (sofern sicher): Flure/Treppen, Räume vor dem Bewegen von Inventar.
  4. Vermuteter Entstehungsbereich: Mehrere Blickwinkel, Markierungen (ohne zu verändern), Detailaufnahmen von Zündquellen-Hinweisen (Elektrogeräte, Mehrfachsteckdosen, Kanister, Lappen, Toaster etc.).
  5. Veränderungen durch die Feuerwehr: Öffnungen, Wegnahmen, gelöschte Brandnester – mit kurzer Begründung.
  6. Besonderheiten: Mehrere voneinander getrennte Brandstellen, untypische Hitze-/Rauchspuren, „merkwürdige“ Funde.

Formalia & Qualität:

  • Zeitlinie schriftlich führen: Alarm, Ausrücken, Eintreffen, erste Erkundung, Innenangriff, Stromabschaltung, Belüftung, Nachlöschen, Übergabe.
  • Wer fotografiert? Name/Funktion festhalten.
  • Keine Filter/„Korrekturen“; Originale sichern.
  • Kurztexte zu Fotos (Ort/Standpunkt, Blickrichtung, was zu sehen ist, ob zuvor etwas verändert wurde).
  • Aufbewahrung & Übergabe nach Absprache (z. B. polizeiliche Anforderung, Staatsanwaltschaft).

5) Zeugen & Hinweise: Aussagen retten Beweise

Viele Verfahren stehen und fallen mit frühen Aussagen. Darum:

  • Brandmelder/Erstentdecker identifizieren, Kontaktdaten notieren, Kurzschilderung: Was, wann, wo gesehen/gerochen/gehört?
  • Anwohner/Nachbarn/Passanten gezielt fragen: Licht, Personenbewegungen, Geräusche, Fahrzeuge vor Ort?
  • Einsatzkräfte nach der Lage kurz abfragen (Lage- und Nachbesprechung): Wer hat was Auffälliges gesehen?
  • Neutral protokollieren: Keine Bewertungen („war bestimmt Brandstiftung“), sondern Wahrnehmungen.

6) Typische Ursachen & Indikatoren (aus der Praxis der Fortbildung)

Die Beispiele aus dem Vortrag zeigen, worauf wir besonders achten sollten:

  • Elektro/Haushaltsgeräte: Defekte Toaster, Mehrfachsteckdosen, fehlerhafte Installationen, Lüftungsanlagen in Dachbereichen.
  • Sanierungs-/Bauarbeiten: Offene Flammen/Heißarbeiten, unsachgemäße Dämmung, abgedeckte Lüftungsöffnungen, Kanister in Fluren.
  • Selbstentzündung: Ölgetränkte Lappen (z. B. Holzwerkstatt) falsch gelagert.
  • Jahreszeitlich: Adventskranz/Tannenbaum mit offenen Kerzen.
  • Fahrlässigkeit: Zigarettenkippen, unsachgemäße Lagerung brennbarer Stoffe (z. B. Kinderwagen im Treppenhaus).
  • Mehrere voneinander getrennte Brandherde: Starkes Indiz für vorsätzliche Brandlegung.
  • Überspannung/Blitz: Prüfen, ob Wetterlage/Elektrik dazu passt.
  • Verpuffung mit anschließendem Brand: Fenster-/Trümmerbild und Druckspuren beachten.

Hinweis: Brandmittelspürhunde, DNA- und Telekommunikationsdaten können später eine Rolle spielen. Für uns bedeutet das vor allem: nicht unnötig kontaminieren, Handschuhe nutzen, Fundorte markieren und in Ruhe lassen.


7) Übergabe an Polizei/Ermittler: Sauberer Abschluss

Eine strukturierte Übergabe erleichtert die Arbeit der Ermittler immens:

  1. Mündliche Lagezusammenfassung (kurz): Erstwahrnehmung, besondere Auffälligkeiten, Gefahren-/Statiklage, Veränderung durch die Feuerwehr.
  2. Zeitlinie & Einsatzprotokoll: Alle wesentlichen Zeitpunkte und Maßnahmen.
  3. Fotodokumentation mit Kurzbeschreibungen.
  4. Hinweisliste (Zeugen, Nachbarn, Kennzeichen, besondere Gerüche/Funde).
  5. Sicherung der Einsatzstelle bis zur Freigabe; Zutrittskontrolle dokumentieren (wer war wann drin?).

Wenn das Betreten aus Sicherheitsgründen nicht möglich war: Begründung notieren und Außenfotografie beilegen.


8) Rechtlicher Kontext – nur das Nötigste für die Praxis

Für die tägliche Arbeit genügt es zu wissen: Die rechtliche Einordnung ist Sache der Polizei/Staatsanwaltschaft. Für uns zählt, die Tatsachenbasis zu sichern. Relevante Stichworte aus dem Vortrag:

  • Brandstiftung/Schwere Brandstiftung: hängt u. a. an „wesentlichen Gebäudebestandteilen“ und der Gefährdung von Menschen.
  • Fahrlässige Brandstiftung: z. B. grob sorgfaltswidriges Verhalten.
  • Tätige Reue: wer den Schaden noch verhindert oder mindert, kann strafmildernd wirken.

Konsequenz für die Feuerwehr: Neutral bleiben, sauber dokumentieren, alles weitergeben.


9) Checkliste zum Mitnehmen (kurz & pragmatisch)

  • Beim Eintreffen: Türen/Fenster-Zustand, Rauch/Flammen, Gerüche, Licht/Elektro, Personen/Fahrzeuge, Wetter – sofort notieren oder Auffälligkeiten der Leitstelle durchgeben, damit diese im Einsatzprotokoll vermerkt sind.
  • Sicherheit: Betreten nur, wenn vertretbar; sonst Außen-Doku. Strom ab, Gründe dokumentieren.
  • Verändern nur, wenn nötig: Jede Veränderung fotografieren und begründen.
  • Fotos: Überblick → Wege → Innen → Entstehungsbereich → Details → Feuerwehr-Maßnahmen. Uhrzeiten!
  • Funde: Zündmittel/Elektroteile/Lappen markieren, liegen lassen.
  • Zeugen: Melder, Nachbarn, Passanten erfassen; Aussagen stichwortartig notieren (wer/was/wann/wo).
  • Übergabe: Zeitlinie, Fotos, Hinweise, Gründe für Nichtbetreten, Zutrittsliste.
  • Neutralität: Keine Bewertungen – Wahrnehmungen berichten.

Fazit:

Die Fortbildung hat gezeigt: Wir als Feuerwehr sind die Augen und Ohren der Brandursachenermittlung. Was wir in den ersten Minuten sehen und wie sorgfältig wir Veränderungen, Fotos und Zeiten festhalten, entscheidet mit darüber, ob ein Gericht später eine schlüssige Ursache bekommt. Lebensrettung bleibt oberstes Ziel – doch mit bewusstem, dokumentiertem Handeln können wir beides: Menschen schützen und Beweise bewahren.

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